Dieser Text wäre vor hundert Jahren undenkbar gewesen, denn damals gab es Computer wie den, auf dem ich schreibe, ganz einfach nicht. Und dieser Text hätte ohne das Internet auch keine Leser.
Unsere Alltagswelt ist von Technik geprägt, und die Entwicklung moderner Technik wäre ohne die dahinterliegende Wissenschaft undenkbar. Naturwissenschaft geht also alle etwas an. Und obwohl die Wissenschaft so wichtig ist, ist das Prinzip dahinter relativ einfach: Man überlegt sich Erklärungen, warum die Dinge sich so verhalten wie sie es tun, und versucht dann mit Experimenten zu zeigen, dass die eigene Erklärung die richtige ist.
Dabei gibt es im Grunde vier Schritte:
- Ich beobachte etwas.
Das kann eigentlich wirklich alles sein.
Zum Beispiel kann mir auffallen, dass mir die Schokocreme auf dem Frühstücksbrot bei meinen Eltern zu Hause nicht so gut schmeckt wie die bei mir.
- Ich leite eine Regel aus meiner Beobachtung ab. Diese Regel ist dann meine Hypothese.
Zum Beispiel: Die Schokocreme bei meinen Eltern schmeckt mir nicht, weil sie von einer anderen Marke ist, als die, dich ich immer kaufe. Es liegt also daran, dass die eine Marke ein Rezept benutzt, das mir besser schmeckt.
Vorher sollte ich natürlich erst versuchen herauszufinden, ob schonmal jemand das gleiche Phänomen beobachtet und vielleicht sogar erklärt hat. Wenn es schon eine bekannte Erklärung dafür gibt, kann ich mir natürlich trotzdem eine Alternative überlegen, aber für den nächsten Schritt ist es wichtig, die schon bekannten Erklärungen genau zu verstehen. Hier hilft es, viel Hintergrundwissen zum Thema zu haben, denn sonst ist es schwer, auf Ideen zu kommen und zu beurteilen, ob die schon existierenden Erklärungen gut sind oder nicht.
Beim Schokocreme-Beispiel könnte es ja sein, dass schonmal jemand untersucht hat, ob Menschen in der Blindverkostung einen Unterschied zwischen den beiden Marken schmecken.
- Ich überlege mir, wie ich meine Hypothese testen kann.
Meine Hypothese ist, dass der Unterschied zwischen den Schokocremes die Marke und damit das Rezept ist. Aber es gibt ja auch mögliche andere Erklärungen: Vielleicht essen meine Eltern nie Schokocreme und darum ist die bei ihnen im Schrank einfach schon Jahre alt und schmeckt deshalb nicht mehr. Oder meine Eltern bewahren ihre Schokocreme auf der Fensterbank auf, wo sie vom Sonnenlicht ständig aufgewärmt und bestrahlt wird, und darum ist sie nicht mehr so lecker. Vielleicht liegt es auch gar nicht an der Schokocreme sondern am Brot das meine Eltern immer kaufen.
Es gibt also sehr viele Faktoren, die hier eine Rolle spielen können. Wenn ich ein Experiment entwerfen möchte, sollte ich versuchen, so viele Faktoren wie möglich im Kopf zu haben, damit ich die beim Experiment “ausschalten” kann und mich nur auf den konzentriere, der für meine Hypothese entscheidend ist.
Um zu testen, ob der Geschmack der Schokocreme von der Marke beeinflusst wird, würde ich testen, ob ich die beiden Schokocremes blind (also ohne zu wissen, welche ich gerade probiere) auseinanderhalten kann. Dazu müsste ich die zwei Schokocremes neu kaufen (dann kann die Lagerung keinen Unterschied machen) und von jemand anderem auf Brote schmieren lassen, sodass ich nicht weiß, welche auf welchem Stück Brot ist (wenn ich das vorher wüsste, kann es sein, dass meine Meinung vorher meinen Geschmack beeinflusst). Ich sollte mehrere Stücke Brot schmieren lassen, denn wenn ich nur zwei habe, habe ich auch schon eine 50% Chance, richtig zu raten, welche Creme es ist. Ich müsste mit verbundenen Augen probieren (denn vielleicht haben die Cremes leicht unterschiedliche Farben, wodurch ich weiß, welche Proben zur gleichen Schokocreme gehören). Dann würde ich die probierten Stücke einer Creme zuordnen. Wenn die eine Creme wirklich besser schmeckt als die andere, dann müsste ich die beschmierten Brotstücke richtig zuordnen können. Wenn es aber an einem der anderen Faktoren liegt, dann würde ich keinen Unterschied schmecken und könnte die Brotstücke auch nicht zuordnen.
- Ich teste die Hypothese und verwerfe sie oder behalte sie bei.
Ich führe mein Schokocremeexperiment wie oben beschrieben aus.
Dann geht es an die Auswertung: Sind meine Schokobrotstücke richtig zugeordnet? Wenn ich das wirklich korrekt machen will, brauche ich hier Statistik. Denn die kann mir helfen zwischen einer zufälligen Anordnung und einer zuverlässig richtigen Anordnung zu unterscheiden. Aber das würde jetzt etwas zu weit führen.
Wenn ich die Stücke so eingeordnet habe, dass es eher einer zufälligen Verteilung ähnelt, dann kann ich die Schokocremes also nicht am Geschmack unterscheiden, und meine Hypothese, dass die eine Marke leckerere Schokocreme macht, ist damit wiederlegt.
Wenn ich dagegen alle oder die meisten Stücke richtig zugeordnet habe, dann kann ich sagen, dass meine Hypothese erstmal weiter gilt. ABER, das heißt nicht, dass diese Hypothese auf jeden Fall wahr ist. Es könnte zum Beispiel auch sein, dass die Schokocreme der einen Marke im Supermarkt, wo ich sie kaufe, anders gelagert wird und darum besser schmeckt. Bestimmt gibt es auch noch andere Erklärungen, die ich mit meinem Experiment nicht messen konnte. Um das zu testen, müsste ich ein anderes Experiment machen.
Diese grundlegenden Schritte sind natürlich etwas vereinfacht. Aber grundsätzlich werden so wissenschaftliche Hypothesen aufgestellt und getestet. Wichtig ist, dass Hypothesen, die nicht widerlegt werden, dadurch nicht automatisch wahr sind. Erst wenn sie sich in vielen verschiedenen Experimenten halten kann, nennt man sie eine Theorie. Das bedeutet, dass man sie vorerst als wahr annimmt, allerdings kann man eine Theorie immer noch mit Experimenten widerlegen.
In der Naturwissenschaft beweist man also nie, das eine Theorie oder Hypothese stimmt, sondern man kann sie immer nur widerlegen. Dadurch bleibt immer eine gewisse Unsicherheit, was die wirklichen Erklärungen angeht. Wie unsicher eine Theorie ist, kann dabei sehr unterschiedlich sein. Denn um eine Theorie umzustoßen, die von tausenden wissenschaftlichen Experimenten unterstützt wird, braucht man sehr starke Gegenbeweise. Wenn eine Theorie relativ neu ist, dann ist es wahrscheinlicher, dass man sie noch widerlegt, oder zumindest abändern muss, damit sie mit neueren Experimenten übereinstimmt.
Indem Theorien immer und immer wieder getestet, verändert und verbessert werden, nähern wir uns in den Naturwissenschaften Stück für Stück der Wahrheit an.